Jahrelang haben Unternehmen es vermieden, Menschen mit Behinderungen einzustellen. Sei es aus der Überzeugung heraus, dass behinderte Mitarbeiter keine guten Leistungen erbringen, oder aus Angst vor Gewinn- und Leistungseinbußen. Im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass diese Überzeugungen nicht zutreffen, neue wissenschaftliche Untersuchungen legen sogar das Gegenteil nahe. Doch leider ignorieren viele Unternehmen nach wie vor diesen beträchtlichen und sehr vielfältigen Pool an talentierten und fähigen Arbeitskräften.
In der heutigen Zeit bedeutet ein barrierefreier Arbeitsplatz nicht nur physische Zugänglichkeit wie Rollstuhlrampen, Beschilderung in Blindenschrift und zugängliche Toiletten, sondern auch digitale Zugänglichkeit, d. h. die Informations- und Kommunikationstechnologie ist für alle zugänglich und/oder mit Hilfsmitteln kompatibel.
Aber nicht nur Menschen mit Behinderungen profitieren von barrierefreien Arbeitsplätzen. Barrierefreie Arbeitsplätze helfen Unternehmen, ihre Produktivität zu steigern; sie sorgen dafür, dass sich ein breiterer Pool von Talenten um eine Stelle bewerben, diese behalten und ausbauen kann, und sie erweitern ihren potenziellen Kundenstamm. Kurz: Die Einstellung von Menschen mit Behinderungen ist gut für die Wirtschaft. Schaffen wir mehr Zugänglichkeit an unseren Arbeitsplätzen schaffen wir positive Synergien für alle.
Wie gestalten Sie einen Arbeitsplatz barrierefrei?
Eine barrierefreie Gestaltung des Arbeitsplatzes bedeutet, dass ein Mensch mit Behinderung ohne fremde Hilfe selbstbestimmt arbeiten sowie alle Wege nutzen kann, während der besondere Gesundheitsschutz gewährt bleibt. Die technische Regel ASR V3a.2 legt fest, dass ein Arbeitgeber einen barrierefreien Arbeitsplatz einzurichten hat, sobald er einen Menschen mit Behinderung beschäftigt. Die ASR V3a.2 definiert dann die barrierefreie Gestaltung von baulichen und sonstigen Anlagen bei Beschäftigung von Menschen mit Behinderung genauer. Bei der BAUA können Sie die ASR V3a.2 online barrierefrei einsehen. Auch die Änderungen, die 2021 vorgenommen wurden, sind verfügbar.
Sie werden sehen, dass die Gestaltung des Arbeitsplatzes und damit einhergehend die des Firmengebäudes immer abhängig von der Art der Einschränkung ist. Bei einer eingeschränkten Sehleistung werden andere Anpassungen benötigt als bei einer mobilen Einschränkung. Da Mobilitätseinschränkungen insgesamt am häufigsten vorkommen, haben wir Ihnen eine erste Checkliste zusammengestellt, mittels derer Sie überprüfen können, wo Ihr Unternehmen steht und welche Änderungen gegebenenfalls auf Sie zukommen.
- Rampen
Überall wo es Stufen gibt, muss als Alternative eine Rampe vorhanden sein.
Diese Rampe muss folgende Anforderungen erfüllen:
- kein Quergefälle
- maximale Steigung: 6 %
- breit genug zum Rangieren
- beidseitige Radabweiser und Handläufe
- Aufzüge, Treppenlifte und Hebeplattformen
Aufzüge müssen mindestens eine Fläche von 1,10 x 1,40 (B x H) besitzen. - Türen
Türen müssen eine lichte Breite 90 Zentimetern sollten Türen mindestens haben. - Fußboden
Bodenbeläge sollten fest verlegt werden und sowohl rutschhemmend als auch antistatisch sein. - Flure
Wegen und Flure ab 15 Metern brauchen eine minimale Breite von 1,80 Metern, um ein gegenseitiges Passieren problemlos zu ermöglichen. - Sanitärräume
Entsprechende Sanitäreinrichtungen müssen in ausreichender Menge vorhanden sein. - Parkplätze
Stellplätze in der Nähe des Gebäudeeingangs mit angepasster Breite sollten zur Verfügung gestellt werden. Schildern Sie diese Parkplätze deutlich aus, um ein Blockieren durch Besucher zu vermeiden. - Schreibtisch
Auch für den Schreibtisch gibt es einiges zu beachten. Er muss in ausreichender Breite unterfahrbar und nicht zu tief sein. Bürobedarfsmittel müssen sich in Griffreichweite befinden. - Büroausstattung/-gestaltung
Geräte wie Drucker oder Scanner müssen aus einer sitzenden Position zu erreichen und bedienen sein. Ebenso Lichtschalter oder ähnliche alltägliche Vorrichtungen. Schränke und Aufbewahrungslösungen müssen so konzipiert sein, dass sie auch bei einem verminderten Greifbereich zugänglich sind. Richtwerte liegen zwischen 0,40 und 1,40 Meter.
Barrierefreie Fluchtwege – denken Sie auch an den Ernstfall!
Der Flur ist breit, die Rampe am Haupteingang steht, aber wenn ein Feuer ausbricht, stehen Menschen, die auf eine Mobilitätshilfe angewiesen sind, oft auch, und zwar oben im Treppenhaus, denn der Aufzug darf im Brandfall nicht genutzt werden. Dieses Thema ist so wichtig, dass wir bereits einen eigenen Blogbeitrag über barrierefreie Rettungswege erstellt haben. Sie finden ihn hier: Fluchtwege für Rollstuhlfahrer – warum barrierefreie Rettungswege wichtig sind.
Die 10 goldenen Tipps – so wird Ihr Unternehmen wirklich inklusiv und barrierefrei
- Nicht alle Behinderungen sind sichtbar
Viele Behinderungen sind für Außenstehende sichtbar, viele aber auch nicht. Barrierefreiheit muss sowohl sichtbare als auch unsichtbare Behinderungen abdecken. Nur dann können Sie Ihren Arbeitsplatz so anpassen, dass er integrativer wird. 30 % der Arbeitskräfte haben in der einen oder anderen Form eine Behinderung - und die meisten halten sie aus gutem Grund geheim.
Versteckte Behinderungen können körperlicher Natur sein - Schwerhörigkeit, chronische Schmerzen, Sehbehinderung oder Fibromyalgie. Sie können neurologischer Natur sein - Lernbehinderungen, Autismus-Spektrum, Multiple Sklerose (MS), Epilepsie und andere. Sie können sogar psychisch bedingt sein - Depression, Angstzustände, ADHS oder das pandemiebedingte Languishing.
- Ermitteln Sie unmittelbare Bedürfnisse
Ihr primäres Ziel sollte darauf bestehen, für alle so zugänglich wie möglich zu sein. Das ist zwar ein ehrgeiziges Ziel und Sie sollten darauf achten, dass Sie sich zu Beginn nicht mehr vornehmen, als Sie realistisch schaffen können. Konzentrieren Sie sich zunächst auf grundlegendste Anpassungen, anstatt eine komplette Überarbeitung zu versuchen.
Unternehmen sind gesetzlich dazu verpflichtet, behinderten Mitarbeitern und qualifizierten Bewerbern angemessene Vorkehrungen zu bieten. Generell haben Unternehmen ab 20 Arbeitsplätzen nach § 71 SGB IX die Pflicht, schwerbehinderte Menschen einzustellen.
Analysieren Sie Ihre derzeitige Belegschaft und beginnen Sie Ihre Bemühungen um Barrierefreiheit dort. Holen Sie die betreffenden Mitarbeiter ins Boot, wenden Sie sich beispielsweise an die Fachstellen für Barrierefreiheit in den Bundesländern, lassen Sie sich beraten.
- Bieten Sie Barrierefreiheit für Bewerber
Wenn Ihr Online-Bewerbungssystem für Menschen mit Behinderungen nicht zugänglich ist, schließen Sie einen potenziellen Superstar-Bewerber von vornherein aus.
Anträge auf Barrierefreiheit im Vorstellungsgespräch zu stellen, kann unglaublich stressig sein. Verringern Sie diesen Stress, indem Sie auf Ihrer Unternehmensseite Informationen über Anträge auf Barrierefreiheit bereitstellen. Dies trägt wesentlich dazu bei, ein positives Bild von der Inklusivität Ihres Unternehmens zu vermitteln und festigt Ihr Bild als moderne und zukunftsfähige Firma.
Wenn Sie auf Ihrer Website und Ihren Einstellungsseiten barrierefreie Technologien anbieten, senden Sie eine klare Botschaft. Es zeigt den Bewerbern, dass Ihr Unternehmen die Vielfalt schätzt und aktiv daran arbeitet, Menschen mit verschiedenen Grundvoraussetzungen zu berücksichtigen.
- Bieten Sie Tools für die Barrierefreiheit an
Bei der Barrierefreiheit geht es nicht nur darum, am Haupteingang Rampen für Rollstühle und Beschilderungen in Blindenschrift anzubringen. Es geht auch um Technologie und darum, wie sie die Fähigkeit eines Mitarbeiters, Spitzenleistungen zu erbringen, verbessern kann. Denken Sie dabei an verstellbare Schreibtische und Monitore, verbesserte Beleuchtung, farbcodierte Tastaturen, Screenreader (Bildschirmlesesoftware) und Anwendungen für Gebärdensprache.
Sie müssen dazu das Rad nicht neu erfinden. Microsoft beispielsweise hat in Office 365 praktische und intelligente Lösungen für die Barrierefreiheit entwickelt. Dazu gehören Untertitel, Live-Transkription von Anrufen und Text zum Vorlesen durch einen Sprecher. Es gibt sogar integrierte Softwaretools, mit denen Mitarbeiter überprüfen können, ob ihre Arbeit und E-Mails für Kollegen zugänglich sind.
- Trainieren Sie die Inklusion
Schulen Sie Personalverantwortliche und Mitarbeiter. Wenn Personalverantwortliche nicht auf Vorstellungsgespräche mit entsprechenden Bewerbern vorbereitet sind, kann dies den gesamten Prozess verzerren. Die Angst, etwas Falsches zu sagen, könnte dazu führen, dass der Interviewer schweigt, anstatt relevante Fragen zu stellen. Um solche Situationen zu vermeiden, sollten Personalverantwortliche eine Schulung zur Integration von Menschen mit Behinderungen erhalten. Lassen Sie die Interviewer Fragen stellen, die sich auf die Kernkompetenzen konzentrieren. Helfen Sie ihnen, die ganze Person zu beurteilen und nicht nur ihre Behinderung.
Die Schulung sollte sich nicht auf das Managementteam beschränken. Alle Mitarbeiter müssen wissen, was sie tun können, um zu einem integrativeren Arbeitsumfeld beizutragen. Integrieren Sie diese Schulung als Teil Ihres Einführungsprozesses. Barrierefreiheit sind nicht nur die Rampen und breite Flure, sondern im täglichen Umgang vor allem auch die Kollegen.
Selbst bei dieser Schulung zum Thema Behinderung kann es vorkommen, dass Mitarbeiter etwas vergessen oder Fehler machen. In Teambesprechungen können Sie an bewährte Praktiken erinnern, um sicherzustellen, dass sie im Gedächtnis bleiben.
- Angemessene Anpassungen vornehmen
Bei der Zugänglichkeit geht es um mehr als nur darum, was Sie in Ihrem Büro verändern können. Fernarbeit und flexible Arbeitsmöglichkeiten sind für Arbeitnehmer mit Behinderungen von entscheidender Bedeutung. Auch wenn die Arbeit von zu Hause aus in einigen Bereichen eine Herausforderung darstellen kann, ist sie nicht so schwierig, wie wir in der Vergangenheit angenommen haben. Gerade durch unsere vielfältigen Learnings in der Pandemie können moderne, zukunftsfähige Unternehmen ihren Arbeitnehmern nun ein hybrides Arbeitsmodell anbieten, das eine größere Flexibilität ermöglicht: Die Technologie hat es möglich gemacht, dass die meisten Aufgaben aus der Ferne erledigt werden können. Gleichzeitig ermöglichen Videoanrufe den Mitarbeitern, mit ihren Kollegen in Kontakt zu bleiben und die Isolation zu verringern. Sogar die Arbeitszeiten sind heute flexibler als früher, da die Unternehmen ihren geografischen Aktionsradius erweitern.
Verpassen Sie keine zuverlässigen, qualifizierten Mitarbeiter, nur weil Ihr Unternehmen zu sehr in seinen Gewohnheiten verhaftet ist, um sich zu verändern.
- Experten einbeziehen
Wenn Sie auf der Suche nach einem Expertengutachten sind, um Ihr Büro inklusiver und barrierefrei(er) zu gestalten, können Sie eine Vielzahl von Unternehmen und Organisationen beauftragen. Eventuell verfügen Sie auch bereits intern über alle erforderlichen Ressourcen.
Arbeiten Sie mit den betroffenen Mitarbeitern zusammen, um Probleme aufzuzeigen, die gelöst oder verbessert werden können. Konzentrieren Sie sich dabei auf Änderungen, die unmittelbar dazu beitragen, dass die Mitarbeiter ihr volles Potenzial ausschöpfen können.
Seien Sie offen für alle Vorschläge, auch wenn sie Ihnen noch so unbedeutend erscheinen mögen. Oft können kleine Änderungen den größten Unterschied ausmachen.
- Schaffen Sie ein integratives Mindset und überarbeiten Sie die Unternehmensrichtlinien
Eine wirklich inklusive, barrierefreie Kultur wird von innen heraus aufgebaut. Aufklärung und Bewusstseinsbildung sind zwar wichtige Maßnahmen, aber noch wichtiger ist es, dafür zu sorgen, dass in Ihren Richtlinien Ihr Wunsch nach Vielfalt und Integration ausdrücklich erwähnt wird.
Bieten Sie Hilfsmittel für die Barrierefreiheit an und schulen Sie die Mitarbeiter im Umgang mit diesen Hilfsmitteln. Bemühen Sie sich um den Abbau bewusster und unbewusster Vorurteile, indem Sie allen Mitarbeitern die Möglichkeit bieten, sich an laufenden Diskussionen zu beteiligen.
Zögern Sie nicht, Ihre Mitarbeiter aufzufordern, Problembereiche zu benennen und "Löcher" in Ihrer derzeitigen Inklusionskultur zu stopfen. Stellen Sie sicher, dass Ihr Unternehmen Inklusion zelebriert und das Thema Behinderung nicht aus den Gesprächen über Vielfalt ausklammert.
- Halten Sie sich über die Gesetzgebung zur Barrierefreiheit auf dem Laufenden
Die Rechtsvorschriften zur Barrierefreiheit werden ständig aktualisiert oder geändert, und alle Unternehmen sind gesetzlich verpflichtet, sie einzuhalten. Am besten ist es, proaktiv zu handeln und einen vorausschauenden Ansatz für die Barrierefreiheit zu wählen. Überprüfen Sie regelmäßig Ihren Arbeitsplatz und die Gesetzgebung, um festzustellen, wie Sie Barrieren, die sich auf Menschen mit Behinderungen auswirken, besser erkennen und beseitigen können.
- Akzeptieren Sie, dass Sie nie „fertig“ sein werden
Sie haben das wichtige Gespräch geführt, Vorkehrungen für die Barrierefreiheit getroffen und Ihr Team geschult. Das heißt, Sie sind fertig und können das Thema jetzt erst einmal die nächsten Jahre ad acta legen, oder?
Nun, nicht ganz.Wenn Sie so weit gekommen sind, haben Sie echte Fortschritte gemacht und sich mit allen aktuellen Problemen der Barrierefreiheit auseinandergesetzt, mit denen Ihr Team konfrontiert ist. Aber die Sache ist die: Barrierefreiheit ist wie eine gute Website: Sie werden nie ganz fertig sein. Es werden neue Technologien eingeführt, oder ein neuer Mitarbeiter, der andere Vorkehrungen benötigt, wird zum Team stoßen. Wie alle Ihre Eingliederungsmaßnahmen ist auch die Barrierefreiheit ein sich ständig weiterentwickelnder Prozess, der bewusste Anstrengungen und eine ständige Bewertung erfordert, aber auch viele positive Auswirkungen auf alle Beteiligten hat.